Zwei Dinge erwähnt Carsten Boell, Geschäftsführer der INTERBODEN Innovative Gewerbewelten in Ratingen, in seinem Vortrag „Nachhaltige Projektentwicklung“ im Rahmen der GEFMA-Lounge Bayern-Nürnberg immer wieder: „360°“ und „zu einem sehr frühen Zeitpunkt“. Nachhaltig denken, planen und umsetzen, heiße,“Projektentwicklung zu Ende denken“ und zwar von der Akquisition an. Gerade, wenn es um den Ansatz der „Circular Economy“, kurz „C2C“ gehe. Wenn also das Gebäude, das im Fokus des Vortrags stand, „The Cradle“, zu 60% aus CO²-speicherndem Holz sein soll, dann muss eben von Anfang an mitgedacht werden, wie z. B. die Pflege und Reinigung funktionieren kann. Dann muss sichergestellt werden, dass das Holz zertifiziert bewirtschaftet wurde, und nicht von weit her bereits CO² belastet angeliefert wird und kontrollierte CO²-arme Lieferketten sichergestellt werden.
Diese grundsätzlich Lebenszyklus orientierte Haltung zeichnet Interboden seit Jahrzehnten aus. Dementsprechend hat die Gruppe schon vor über 15 Jahren ESG-konforme Governance-Regularien in allen Unternehmensprozessen verankert - lange bevor ESG-Konformität zum Transformationshebel für Finanz- und Immobilienprodukte wurde. Vor diesem Hintergrund zeigten sich sowohl GEFMA-Geschäftsführer, Jürgen Schneider, als auch Lounge-Leiter, Sebastian Hölzlein, dankbar, mit Carsten Boell einen authentischen Speaker für das Thema „Nachhaltigkeit“ gewonnen zu haben. Ein Fokusthema der GEFMA, das zur Aktivität in der gesamten Immobilienwertschöpfungskette verpflichte.
Als das Familienunternehmen Interboden 2017 die Ausschreibung der Stadt Düsseldorf für ein Projekt im Medienhafen gewann, gelang dies dank des nachhaltigen Entwicklungskonzepts. Man hatte sich verpflichtet, das Gebäude nach dem Prinzip „Cradle to Cradle“ umzusetzen – kreislauffähige reine Materialien, die keine giftigen Stoffe enthalten, einzusetzen und ressourcensparend zu arbeiten. Zu dem Konzept gehört ebenso verbindlich ein innovativer „Shared Mobility Hub“ im Erdgeschoss des Gebäudes wie die Einreichung eines C2C-Bewirtschaftungskonzeptes und eine nachhaltige Quartiers-App für das Pooling von Services. Diese Kapitalisierung des Inputs für eine „Sharing Economy“ habe den Kaufpreis des Grundstücks reduziert. „Das ist ein Musterbeispiel dafür, was Social Impact Investing ist. Welchen Beitrag leiste ich mit meinem Projekt für die NutzerInnen, für ein Quartier, für eine Stadt?“, so Carsten Boell.
Auch die Vermeidung von Abfall als innere Logik der Kreislaufwirtschaft ist ein ökologisch, ökonomisch und sozial relevanter Vorteil, den es zu berücksichtigen gilt. Allein dieser Aspekt stellt einen großen Hebel für eine Branche dar, die für 59 Prozent des Abfallaufkommens weltweit verantwortlich ist. Hinzu kommen in dem Projekt weitere Cradle to Cradle-Maßnahmen, wie zum Beispiel „Grüne Wände“, Retentionsdach, Grauwasserverwendung, Photovoltaikanlage, CO²-Monitoring, Quartiers-App etc. Auch die auffällige architektonische Wabenstruktur des Gebäudes hat ihre Zielsetzung in einer optimalen Belichtung des Gebäudes für die NutzerInnen und damit Vermeidung der Materialität eines Sonnenschutzsystems in der Herstellung und späteren Bewirtschaftung.
Mit der Realisierung des Holzhybridgebäudes „The Cradle“ habe man bezüglich der Circular Economy in der Baubranche sicher „einige Treppenstufen auf einmal genommen“. Doch gerade die Suche nach kreislauffähigen, reinen, ungiftigen und ressourcenschonenden Materialien sei eine Herausforderung gewesen. Während vor drei Jahren 4.000 Materialien zur Auswahl gestanden hätten, seien es heute bereits mehr als 9.000, so Carsten Boell. Ergänzend habe Interboden frühzeitig eine Zusammenarbeit mit der niederländischen Firma „Madaster“ begonnen, um ein Materialkataster und einen Gebäudepass anzulegen. „Auf diese Weise weiß auch in 50 Jahren noch jeder was wann und wo verbaut wurde. Wir haben im Prinzip eine transparente monetarisierbare Materialdatenbank im Ergebnis und wir wollen, dass auch andere daraus lernen“, so der Referent. The Cradle ist damit das erste Projekt auf der deutschen Madaster-Plattform und Interboden einer der ersten Madaster-Kennedys, wie die 33 Kooperationspartner und Botschafter für das Madaster-System genannt werden. Die zweite große Herausforderung in der Umsetzung des Projekts sei die Suche nach geeigneten, also C2C-erfahrenen und lösungsorientierten Fachplanern - von der Tragwerksplanung bis zur TGA – gewesen.
Ebenfalls zu einem frühen Zeitpunkt in der Projektentwicklung wurden spezielle Green Lease-Mietverträge mit weitreichenden Verpflichtungen für die Mieter entwickelt, bis hin zur Verfügungstellung der Verbrauchsdaten. Dies – und hier waren sich alle einig – ist aktuell das größte aktuelle Hindernis für einen energieoptimierten und ressourcenschonenden Betrieb von Gebäuden. Für „The Cradle“ sind Mieterschulungen im Sinne eines ressourcenschonenden Verhaltens eingeplant, wie auch Kriterien für einen kreislaufgerechten Mieterausbau festgelegt. Die Green Lease Klauseln können bis zu einer koordinierten, zentralen Bestellung und Belieferung von geeignetem Büromaterial oder Getränken, reichen, um vielfache Einzelliefervorgänge und damit CO² zu vermeiden. Dabei hätten die vielen Verpflichtungen und Anforderungen der Green Leases die Nachfrage keineswegs gebremst. Im Gegenteil bereits 50 Prozent der Flächen seien zum frühen Projektverlauf vor Erteilung der Baugenehmigung vergeben gewesen, so Carsten Boell.
Bei der Betrachtung der Rentabilität des Projektes sind aus ganzheitlicher Sicht nicht nur die klassischen Faktoren zu bewerten. Auf der Suche nach Green Bonds würden von den Banken bereits bei der Finanzierung Sustainable Returns eingepreist, hob Carsten Boell hervor. Auch die positiven Marketingeffekte für Image und Employer Branding als Folge der vielfältigen Auszeichnungen und Berichterstattung für „The Cradle“ zahlten ebenso auf den ROI ein wie der Beitrag zu Forschung und Lehre und der gewonnene Innovationsvorsprung.
Mit Blick auf das Klimaziel der CO²-Neutralität bis 2045 und den deutschen „Overshoot“-Day am 04.05.2022 konstatierte Carsten Boell: „Wir leben aktuell schon jetzt auf Pump. Wenn wir uns nicht bewegen, dann werden wir bewegt, nicht nur durch die spürbaren Folgen des Klimawandels sondern auch durch regulatorische Sanktionen der Gesetzgeber auf nationaler und EU-Ebene. Die Folgen des Klimawandels können bereits in wenigen Jahren dramatisch sein.“ Deshalb sind „Best Practices“, wie „The Cradle“ notwendig, um schneller zu lernen, zu inspirieren und „Nachahmer“ zu provozieren. In diesem Sinne habe das Interboden-Team zu Beginn des Prozesses das Venloer Rathaus als sehr gutes Beispiel für die Anwendung von C2C-Prinzipien im Gebäudesektor besichtigt, was er allen ZuhörerInnen ebenfalls empfahl. Neue Projektentwicklungen seien das eine, doch die Dekarbonisierung im Gebäudebestand bleibe natürlich die große Herausforderung der Branche. Als Extra-Motivationsschub für die Umsetzung von umwelt- und ressourcenschonenden Projekten legte der Referent allen noch die Lektüre des Buches „Deutschland 2050“ von Nick Reimer ans Herz: „Klimawandel ist kein abstraktes Phänomen der Politik, sondern Klimawandel findet hier und jetzt in unserem Leben statt. Und wir können und müssen tätig werden“, so Carsten Boell abschließend.